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Kauf mich! – Die vier wichtigsten Lektionen für die Kundenansprache

Der Placebo-Effekt funktioniert denkbar einfach: Geht der Patient davon aus, ein wirksames Medikament einzunehmen, ist es wahrscheinlicher, dass die erhofften Wirkungen eintreten. Anton de Craen von der Universität Amsterdam hat 1996 durch verschiedene Studien festgestellt, dass rote Medikamente für die Probanden eine stärkere Wirkung haben als blaue. Trotzdem ist nur eines von sieben verkauften Schmerzmitteln rot.  Danke für diese Information – was soll mir das sagen? Dass wir auch heute noch gerne den Status Quo beibehalten der uns beigebracht wurde, obwohl wir wissen, wie es besser geht.

Marketing-Fachleute bleiben auch gerne bei ihren altbewährten Methoden. Dabei gibt uns die Verhaltenspsychologie Antworten zu vielen Rätseln der PR- und Werbebranche. Durch Experimente sind viele Annahmen belegbar und althergebrachte Mythen eigentlich längst widerlegt – trotzdem berücksichtigen Marketing-Fachleute diese Ergebnisse nicht. Richard Shotton hat einige dieser Annahmen in „25 behavioral biases that influence what we buy“ zusammengefasst. Hier sind die vier wichtigsten Lektionen, die Marketer bei der Kundenansprache unbedingt beachten sollten.

1. Lektion: Kunden mögen keine Veränderung

„Alles schon mal da gewesen, wir brauchen für jede neue Kampagne dringend einen anderen Ansatz“ – klingt vertraut? Vernachlässigt aber eine wichtige Grundeigenschaft der Menschen: Wir sind Gewohnheitstiere. Entsprechend sollten wir als Fachleute dieses Prinzip der Stetigkeit in unsere Kampagnen einkalkulieren. Etwa die Hälfte unseres Verhaltens sind gewohnte Prozesse, wie eine Untersuchung von Jeffrey Quinn und Wendy Wood, Professoren an der Duke University, zeigt: Sie programmierten Uhren, die zu bestimmten Zeiten einen Alarm auslösten. Die Testpersonen sollten aufzeichnen, welche Tätigkeiten sie während des Alarms ausführten. Das Endergebnis des Versuchs zeigte: Etwa 45 Prozent der ausgeführten Tätigkeiten waren wiederkehrende Gewohnheiten.

Was heißt es nun für neue Marken, wenn Verbraucher doch vorzugsweise die gleichen Produkte zumeist aus Gewohnheit kaufen? Um Kunden anzulocken, müssen Marken es schaffen, die Gewohnheitskäufe zu stören. Dazu müssen sie Verbraucher in den seltenen Situationen erreichen, in denen sie sich Veränderung wünschen: Etwa nach einem einschneidenden Lebensereignis wie einer Hochzeit oder einem Umzug. Auch die Schwelle zu einem neuen Altersabschnitt gehört dazu: Marken, die neu in einen Markt einsteigen, sollten sich das zu Nutze machen und vorzugsweise Altersgruppen ansprechen, die 19, 29, 39 etc. Jahre alt sind.

2. Lektion: Wenn es jeder mag, kann es nur gut sein

Niemand würde direkt bejahen, dass er sich von anderen Menschen in seiner persönlichen Verhaltensweise beeinflussen lässt – unser Unterbewusstsein sieht das aber anders. Dieses Phänomen nennt sich im Fachjargon Social Proof. Wie funktioniert es? Ein Versuch von Richard Shotton, Verhaltensforscher für Manning Gottlieb, und Richard Clay, Stratege bei Zenith, untersuchte den Social Proof in einer Londoner Bar. Ein kleines Schild auf dem Tresen verkündete, dass in dieser Woche das Porter am häufigsten verkauft wurde. Durch diese einfache Behauptung verkaufte sich das Porter in diesem Zeitraum 2,5-Mal besser.

Ein anderes Experiment des Psychologen Robert Cialdini zeigt, wie sehr wir von solchen Botschaften beeinflusst werden. Der Psychologe führte mit Hilfe einer Hotelkette ein Experiment mit dem Ziel durch, die Gäste zur erneuten Benutzung ihrer Handtücher zu ermutigen. Dafür entwarf er verschiedene Nachrichten und hinterließ je eine in den Badezimmern der Hotelräume. Seine Kontrollbotschaft teilte dem Gast mit, dass die Weiterbenutzung von Handtüchern umweltfreundlich sei – diese erhöhte die Wiederverwendung von Handtüchern bei 35 Prozent aller Gäste. Eine zweite Botschaft teilte dem Gast lediglich mit, dass die meisten anderen Gäste ihre Handtücher wiederverwendeten. Ohne eine rationale Bedeutung zu liefern, erhöhte sich hier die weitere Nutzung der Handtücher um 44 Prozent. Den größten Unterschied machte die dritte Botschaft: „Die meisten Besucher Ihres Hotelzimmers nutzten ihre Handtücher ein weiteres Mal“ – in diesen Zimmern erhöhte sich die Wiederverwendung um ganze 49 Prozent. Ohne großen Aufwand konnte das Hotel also unnötige Kosten einsparen und die Umweltbelastung senken.

Was lernen wir daraus? Sobald Marken vorgeben, bei einer Vielzahl an Menschen beliebt zu sein, steigt die Popularität wie von selbst an. Zusätzlich zeigt das Beispiel mit den Hotelzimmern, dass die persönliche Ansprache an den Nutzer essentiell ist. Die beste Taktik ist, die eigene Marke für den Verbraucher relevant zu machen. Je relevanter der Kontext für ihn ist, desto eher wird er bereit sein, es seinen fiktiven Vorgängern gleich zu tun. Trotzdem sollte die Ansprache nicht zu sehr personalisiert werden: Verbraucher sind geschockt, woher die Werbemenschen an diese Infos gekommen sind und fragen sich, was sie sonst noch wissen. Der uns bereits bekannte Richard Shotton hat in einem weiteren Experiment festgestellt, dass 36 Prozent der Verbraucher personalisierte Werbung völlig inakzeptabel finden.

3. Lektion: Es sieht wertig aus, also ist es gut

Schmeckt ein Brownie anders, je nachdem ob er auf einem Porzellanteller, einem Papierteller oder einer Serviette serviert wird? Tut er natürlich nicht – und trotzdem würden wir für einen Brownie auf Porzellan mehr bezahlen, weil er wertiger aussieht. Je schöner die Präsentation, desto besser auch Geschmack und Qualität. Nur: Kennen wir eine Marke bereits, haben wir gewisse Erwartungen an das Produkt.

Blindverkostungen, wie sie Richard Shotton einige Male durchgeführt hat, belegen diese Annahme – nehmen wir beispielsweise Bier und präsentieren es in drei unterschiedlichen Gefäßen: Ein Pappbecher, ein blankes Glas und ein Glas, auf dem das Firmenlogo zu sehen ist. Das Produkt ändert sich nicht, aber unsere Erwartungshaltung und damit auch unser Geschmacksempfinden: Das Glas mit Logo sieht am hochwertigsten aus, daher sollte das Produkt darin im Vergleich am besten schmecken. Hat der Verbraucher allerdings bereits eine Abneigung gegen die Marke entwickelt, kann sich die Präsentation mit dem Logo auch ins Gegenteil verkehren: Der Kontext für diesen Verbraucher hat sich geändert, er wird dieses Produkt durch seine Vorurteile nicht „neutral“ wie eine unbekannte Marke bewerten können.

Wie können wir das nutzen? Äußere Werte sind für Verbraucher essentiell – gut präsentiert ist halb verkauft. Natürlich muss die Qualität des Produktes überzeugen, bevor das aber der Fall ist überzeugt die Verpackung – diese sollte bei der Produktentwicklung nicht vernachlässigt werden. Ebenso wie die letztendliche Präsentation vor dem Verbraucher. Auch die Wortwahl ist entscheidend: Nicht ohne Grund klingt „Panierte Seelachsfilets auf einem Bett von Kartoffelstampf und Gemüse-Julienne“ hochwertiger als „Fischstäbchen mit Kartoffelbrei und Möhren“.

4. Lektion: Je mehr du weißt, desto besser fühlst du dich

Ein anderer Faktor, der Entscheidungen stark beeinflusst, sind Auswahlmöglichkeiten. Je mehr Variablen wir berücksichtigen können, desto detaillierter und zufriedenstellender scheint unsere Entscheidung zu sein: Professor Paul Slovic führte ein Experiment mit professionellen Pferdewetten durch. Die Probanden bekamen eine Liste von 88 Variablen, die bei der Auswahl des besten Pferdes helfen sollten; diese Auswahlmöglichkeiten wurden ebenfalls mit 5, 10, 20, 30 und 40 Variablen ausgefüllt. Dabei sollten sie das Endergebnis des Rennens vorhersagen und ihre persönliche Sicherheit bei dieser Entscheidung mitteilen.

Die Genauigkeit der Vorhersagen war gleichbleibend niedrig, ungeachtet der Anzahl an verfügbaren Variablen. Allerdings waren die Probanden mit steigender Anzahl an verfügbaren Daten selbstbewusster. Sie sahen in der schieren Menge an „wichtigen“ Variablen einen Vorteil, fühlten sich sicherer in ihrer Entscheidung und begannen, sich zu überschätzen, mehr Geld zu setzen und am Ende auch mehr Geld zu verlieren. Dabei hatte sich an ihren Gewinnchancen effektiv nichts geändert, da die meisten Variablen für den Ausgang des Rennens vollkommen irrelevant waren.

Ab einem bestimmten Punkt füttern zusätzliche Informationen nur noch das, was Psychologen „Bestätigungsfehler“ nennen: Erhalten Verbraucher Informationen, die im Widerspruch zu ihrer ursprünglichen Einschätzung stehen, lehnen sie diese ab oder ignorieren sie – und fühlen sich bestätigt, dass die ursprüngliche Wahl richtig war.

Wie schützen sich Marketer also davor? Um Einfluss auf die Kaufentscheidung zu nehmen, müssen sie die Welt ihrer Zielgruppe rundum verstehen und aufpassen, dass der Bestätigungsfehler ihre Sicht nicht eingeschränkt. Studienergebnisse sollten auf das Wesentliche reduziert und mit einer gesunden Skepsis behandelt werden, da auch viele der gewonnenen Daten letztendlich uninteressante Ergebnisse sind. Zu guter Letzt sollten sie Verallgemeinerungen auf eine zu große Zielgruppe vermeiden, die größer ist als die eigentlich anvisierte – denn dann werden die Ergebnisse ungenau und irrelevant.

Fazit

Fast alle Marketing-Kampagnen müssen in bereits gut gefüllten Märkten ausgetragen werden. Von allen Seiten tönt ein Ruf nach Veränderung, nach Neuerfinden der Arbeit und des Umgangs mit Verbrauchern. Daraus entstehen aber Fehler, die sich vermeiden lassen, wenn wir uns selbst in die Situation des Verbrauchers hineinversetzen. Beziehen Marketer aber Ergebnisse aus der Verhaltenspsychologie mit ein und berücksichtigen das Naturell von Käufern, können sie ihre Kampagnen punktgenau analysieren und optimieren.