Krisenkommunikation gilt als Kür in der Kommunikationsarbeit. Dabei einen kühlen Kopf zu bewahren und den Überblick zu behalten, scheint erstmal gar nicht so leicht. Bei dem Krisenkommunikationsseminar von Marcus Ewald von Ewald und Rössing habe ich gelernt, dass sich eine Adrenalinexplosion in den allermeisten Fällen nicht lohnt: Nicht jede schwierige Situation ist gleich eine Krise.
Grundsätzlich gilt es erstmal zu klären, wann eine Krise tatsächlich eine Krise ist. Die zentralen Fragen, die sich Kommunikationsprofis dabei stellen sollten: Ändern Menschen ihr Verhalten, wenn XY eintritt? Wer ändert sein Verhalten, wenn XY eintritt? Können wir nämlich davon ausgehen, dass wichtige Stakeholder eines Unternehmens im Falle von XY ihr Verhalten nicht ändern, besteht auch keine Krise. Um eine Krise handelt es sich, wenn primäre Erwartungen an ein Unternehmen oder dessen Produkte enttäuscht werden und somit eine Verhaltensänderung eintritt.
Es geht um die Wurst
Konkretes Beispiel: Ein Post auf Facebook eines Wurstherstellers wird mehrfach von einer Gruppe von radikalen Veganern negativ kommentiert. Man könnte eventuell das Wort „Shitstorm“ in den Mund nehmen, ABER ist das eine Krise? Werden Verbraucher plötzlich keine Wurst mehr kaufen, weil eine bestimmte Gruppe, die sowieso keine Wurst kauft, einen Social-Media-Post kommentiert? Die Antwort lautet: Nein. Also fallen keine Kunden weg und der Wursthersteller muss sich zunächst nicht um einen sinkenden Absatz seiner Wurst sorgen. Der Grund dafür liegt darin, dass das Erwartungsmodell der Wurstkonsumenten nicht gestört wurde. Denn: Wurstkonsumenten wissen, dass Tiere für das Produkt sterben mussten.
Primärer Nutzen vs. Sekundärer Nutzen
Die Unterscheidung zwischen primärem Nutzen und sekundärem Nutzen spielt bei diesem Verhalten eine tragende Rolle. Der primäre Nutzen der Wurstkonsumenten ist in erster Linie vielleicht erst der Geschmack der Wurst, der durch die Kommentare der Veganer nicht gestört wurde. Andere Aspekte wie vielleicht Ethik spielen eine sekundäre Rolle und führen zunächst nicht zu einer Verhaltensänderung. Es besteht also kein akuter Krisenfall.
Ein weiteres Beispiel sind Mogelpackungen. Als Mogelpackungen bezeichnet man Verpackungen, die über die tatsächliche Menge des Inhalts hinwegtäuschen wollen. Hersteller wählen solche Verpackungen, wenn sie eine Preiserhöhungen durch eine Mengenreduktion erreichen wollen. Immer wieder liest man über Mogelpackungen in der Zeitung. Das heißt aber nicht unbedingt, dass von heute auf morgen alle Kunden wegfallen und der Absatz einbricht. Besteht nämlich der primäre Nutzen weiter, ändern Konsumenten ihr Verhalten nicht. Solange der Genuss der gleiche ist, kann ein Chips-Hersteller die Füllmenge reduzieren und mehr Luft in die Packung füllen, ohne den Preis zu ändern. So zahlt der Verbraucher für weniger Chips mehr Geld.
Nicht in Sicherheit wiegen
Kein Hersteller sollte jedoch das Spiel zu weit treiben und sich zu sehr auf den primären Nutzen seiner Produkte verlassen. Ein ungutes Gefühl kann sich beim Verbraucher festsetzen und das Verhalten trotzdem über die Zeit verändern. So ein schleichender Prozess geht dann nicht mit einem großen Aufschrei einher, der Krisenkommunikation erfordern würde – doch wird der Umsatz leiden.
In der Arbeit jedes Kommunikationsprofis sind schwierige Situationen manchmal unvermeidbar und oft erscheinen sie schlimmer als sie eigentlich sind. Es gilt mit Verstand und Ruhe abzuwägen, ob es sich um einen echten akuten Krisenfall handelt oder nur um eine etwas herausfordernde Situation, um dann die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten.